Wir trauern um unsere Freunde
Wir sind sehr traurig, dass wir 2015 einige unserer langjährigen Wegbegleiter verloren haben.
Jozef Paczynski
1920 – 26.04.2015
Jozef Paczynsi wurde 1920 geboren. Am 14. Juni 1940 wurde er mit dem ersten Transport polnischer Männer in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Er erhielt die Häftlingsnummer 121. Seit 1942 musste er als Friseur des Kommandanten Höß tätig sein. Im Januar 1945 wurde er mit dem letzten Todesmarsch aus dem Konzentrationslager Auschwitz nach Mauthausen verschleppt, wo er seine Befreiung erlebte. Jozef Paczynski wurde in Krakau Ingenieur und später Leiter einer Beruflichen Schule.
Er war eng befreundet mit dem Gründer der Lagergemeinschaft Auschwitz, Hermann Reineck, der bis zu seinem Tode in Münzenberg lebte. Paczynski besuchte Hermann Reineck oft in Deutschland wie auch Hermann Reineck sich mit ihm in Auschwitz und Krakau traf.
In den letzten Jahren traf Herr Paczynski immer wieder Gruppen deutscher Besucher der Gedenkstätte des KZ Auschwitz. Mindestens zweimal im Jahr trafen ihn Studiengruppen der Lagergemeinschaft Auschwitz in Krakau in der Ambulanz für die Opfer der Konzentrationslager. Während dieser Treffen, an denen auch seine Freunde vom Klub der ehemaligen Auschwitz-Gefangenen teilnahmen, gab es intensive Gespräche über das Geschehen im Lager. Paczynski war es stets ein Bedürfnis, vor allem den jungen Menschen deutlich zu sagen, dass er und seine Freunde keinen Hass hegen gegenüber den heutigen deutschen Menschen. Seine herzliche und freundliche Art war die leibhaftige Bestätigung seiner Beteuerung. Jozef Pazcynski hat außerordentlich viel beigetragen zum Verständnis zwischen Polen und Deutschen. Besonders den jungen Menschen wollten er und seine Freunde vermitteln, dass Völkerhass und Vorurteile zu Krieg und Diktatur führen.
Jozef Paczynski verstarb am 26.04.2015 in einem Krakauer Krankenhaus im Alter von 95 Jahren. 2014 besuchte die Journalistin Margaret Wohlan mit einer Studiengruppe der Lagergemeinschaft Auschwitz die Gedenkstätte Auschwitz und Krakau. Aus der Begegnung mit Jozef Paczynski ergab sich ein Kontakt, der zu dem Gespräch mit Herrn Paczynski einige Monate später in Krakau führte. Das Interview finden Sie hier: http://www.deutschlandradiokultur.de/kz-ueberlebender-auschwitz-war-ein-seltsamer-ort.990.de.html?dram:article_id=289068
Dr. Janusz Mlynarski
21.5.1922 – 6.5.2015
Janusz Mlynarski kam ebenfalls am 14. Juni 1940 mit dem ersten Transport von 728 polnischen Gefangenen ins Konzentrationslager Auschwitz. Er erhielt die Häftlingsnummer 355 und wurde bis Januar 1945 im Stammlager Auschwitz I festgehalten, wo er gegen Ende seiner Haftzeit als Pfleger im Krankenbau eingesetzt war.
Wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz wurde er aus dem Lager evakuiert und erreichte nach mehreren Todesmärschen die Konzentrationslager Mauthausen, Melk und schließlich Ebensee in Österreich. Heute weiß man, dass von rund 60.000 Häftlingen, die an diesen Märschen teilnahmen, mehr als 15.000 ums Leben kamen. Der weitere Transport erfolgte bei eisiger Kälte in offenen Viehwaggons. „Wie wir das alles überlebt haben, weiß ich bis heute nicht. Wir befanden uns wie in einer Trance“, sagte der Zeitzeuge in einem Interview mit Annedore Smith im Jahr 2005.
Das Lager Ebensee wurde am 6. Mai 1945 von der US-Armee befreit. An diesem Tag habe eine unbeschreibliche Freude geherrscht – und niemand sei gestorben. „Irgendwie wollten alle diesen Moment, auf den wir so lange gewartet hatten, unbedingt noch miterleben“, meint Mlynarski. Einen Tag später habe es dann mehr als 200 Todesfälle gegeben. Gleichzeitig habe eine grausame Lynchjustiz gegenüber den ehemaligen Aufsehern begonnen. Für Mlynarski war dies ein schreckliches Erlebnis, denn er hätte sich eine ordentliche Justiz für die Aufseher gewünscht. Andererseits sagte er, dies habe ihm vielleicht auch dabei geholfen, seinen eigenen Hass zu überwinden. “Jedenfalls konnte ich diese Form von Rache nicht akzeptieren.“
Janusz Mlynarski wurde nach dem Krieg in Polen Arzt. Seit 1978 lebte er in Monheim in Nordrhein-Westfalen. Er verstarb am 70. Jahrestag seiner Befreiung, am 6. Mai 2015.
Die Erinnerung bewahren und den Hass überwinden waren sein großes Lebensziel. Dafür arbeitete er mit seinen Freunden und Kameraden. Er berichtete oft vor Schülerinnen und Schülern und anderen Interessierten von seinen Erlebnissen und setzte sich mit viel Engagement für Frieden und Versöhnung ein.
Er war Gründungsmitglied der Lagergemeinschaft Auschwitz und besuchte uns auch in den letzten Jahren noch gelegentlich zu Veranstaltungen und Mitgliederversammlungen.
Joachim Proescholdt
4.11.1927 – 11.5.2015
Nach Reichsarbeitsdienst, Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft studierte Joachim Proescholdt Theologie in Marburg, Mainz und Basel. Er war Pfarrer in Rüsselsheim, Wörrstadt/Rheinhessen und von 1972 bis zu seiner Pensionierung 1992 in St. Katharinen in Frankfurt am Main. Er hat zahlreiche Bände zur Kirchen- und Kunstgeschichte Frankfurts veröffentlicht.
Joachim Proescholdt war Gründungsmitglied der Lagergemeinschaft Auschwitz. Er übernahm nach dem Tode des Gründers und ersten Vorsitzenden, Hermann Reineck, den Vorsitz bis zur nächsten ordentlichen Vorstandswahl (1996-1997). In dieser Zeit leitete und stabilisierte Joachim Proescholdt die Geschicke des Vereins. Hierfür wurde er auch von unseren polnischen Freunden sehr verehrt und geliebt.
Joachim Proescholt wusste, dass es notwendig ist, das Leid der Opfer anzuerkennen und gleichzeitig die eigene Verantwortung auf sich zu nehmen, um Versöhnung zu erlangen. Dies zeigte er unter anderem in vielen kleinen menschlichen Gesten, die ebenso wertvoll sind, obwohl sie öffentlich nicht wahrgenommen werden. Hiermit hat Joachim Proescholdt einen wichtigen Beitrag zur polnisch-deutschen Versöhnung geleistet. Er wusste – Versöhnung ist ein Geschenk.
Wladyslaw Bartoszewski
19.2.1922 – 24.4.2015
Wladyslaw Bartoszewski schloss sich während des Zweiten Weltkriegs dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung Polens an. Im September 1940 wurde er als Gefangener mit der Nummer 4427 nach Auschwitz deportiert und im April 1941 schwer krank entlassen. 1944 nahm er am Warschauer Aufstand teil.
1995 übernahm er das Amt des polnischen Außenministers, trat jedoch später zurück. Von Juni 2000 bis September 2001 war er erneut Außenminister Polens.
Er war der Lagergemeinschaft Auschwitz freundschaftlich verbunden und schätzte unsere Arbeit. So waren Vertreter unseres Vorstandes u.a. einmal zu einem eindrucksvollen Gespräch im Ministerium in Warschau eingeladen.
Hugo Höllenreiner
15.9.1933 – 10.6.2015
Hugo Höllenreiner stammte aus einer angesehenen Ingolstädter Sinto-Familie mit einer langen Familientradition. Als Kind hat er Birkenau im sogenannten Zigeunerlager durchlitten.
Durch all seine Vorträge zog sich – immer wieder wiederholt – die große Angst vor Josef Mengele, der sich seine Opfer besonders häufig im „Zigeunerlager“ aussuchte. Oft besuchte er das Lager Birkenau – vor allem an den Gedenktagen zum Schicksal der Sinti und Roma.
Vor zwei Jahren war er für eine Woche unser Gast in der Wetterau. In dieser Zeit besuchte er mehrere Schulen und sprach in zwei Abendveranstaltungen über sein Leben.
Hugo Höllenreiner war ein sehr freundlicher und einfühlsamer Mensch, der besonders im Gespräch mit den Jugendlichen nach seinem Vortrag viel Herzlichkeit ausstrahlte. Die ihn erlebt haben, werden sich immer wieder an ihn erinnern.
Tadeusz Sobolewicz
1924 – 28.10.2015
Tadeusz Sobolewicz, 1924 geboren als Sohn eines polnischen Offiziers, wurde 1941 in Tschenstochau verhaftet und nach Auschwitz verschleppt – als 17jähriger Widerstandskämpfer gegen die deutschen Okkupanten. Den Decknamen Tadeusz Sobolewicz aus der Untergrundzeit hat er nach dem Krieg als Namen beibehalten.
Er hatte viele Freunde in Deutschland. Etliche Mitglieder unserer „Lagergemeinschaft Auschwitz“ waren mit ihm persönlich befreundet. Damals waren die Gruppenreisen nach Auschwitz Reisen zu Freunden in Polen. Er war einer der Freunde. Freundschaften waren ihm außerordentlich wichtig. Denn in den Lagern hatte er erlebt, dass Freundschaft und Kameradschaft überlebenswichtig waren. Beides hatte er erfahren und lebte es nach der Befreiung weiter.
Nach fast zwei Jahren Festsetzung im Stammlager Auschwitz wurde er nach Buchenwald verschleppt. Nach etlichen weiteren Stationen als Zwangsarbeiter konnte er bei Regensburg von einem Todesmarsch fliehen und wurde in einem Unterschlupf bei Bauern von amerikanischen Truppen befreit.
In Polen wurde er ein bekannter Schauspieler. Viele Jahre traf er sich vor allem mit Jugendgruppen in Auschwitz. Die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim war dabei für ihn wie eine zweite Heimat. Er erzählte von der Vergangenheit und rief dabei immer wieder auf, sich Hass und Gewalt entgegenzustellen. Der Ruf „Nie wieder Krieg“ bildete einen Grundton seiner Vorträge und Gespräche. Dazu reiste er oft nach Deutschland, um hier zu berichten und zu werben für Frieden, Verständigung und für Europa.
Er starb am 28. Oktober 2015 in Krakau. An dem Tag reiste eine Studiengruppe der Lagergemeinschaft Auschwitz nach Besuchen in Auschwitz und an Orten jüdischen Lebens in Krakau wieder nach Hause. Zum ersten Mal in der Geschichte der Studienfahrten der Lagergemeinschaft Auschwitz hatte sie kein Treffen mit dem Klub der Überlebenden von Auschwitz in Krakau vereinbaren können. Die Vorbereitungsphase war zu kurz, die Gesprächspartner nicht mehr in der Lage, sich auf den Weg in die ul. Dietla 16 zu machen – zur Ambulanz für die Überlebenden und vom Holocaust traumatisierten Menschen in Krakau.
Tadeusz Sobolewicz war fast immer dabei, wenn sich eine Studiengruppe der Lagergemeinschaft mit Auschwitz-Überlebenden traf. Viele Jahre hat er die monatlichen Treffen der Überlebenden von Auschwitz besucht. Diese Gemeinschaft war für viele wie eine Familie. Hier arbeitete er lange aktiv mit, um den Überlebenden zu helfen und sie zu unterstützen bei der Bewältigung des Lebens.
Tadeusz Sobolewicz fügte seinen Unterschriften und Widmungen oft seine Häftlingsnummer aus Auschwitz – 23053 – an. Hier jedoch soll am Ende sein Name stehen, an den wir uns erinnern: Tadeusz Sobolewicz
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Lang ist die Reihe der in letzter Zeit verstorbenen Überlebenden der Lager – viel länger wird sie nicht mehr werden. Wir werden allein sein – aber haben die Pflicht, ihre Arbeit fortzusetzen, ihre Botschaft zu vermitteln. Der Appell „Fragt uns, wir sind die Letzten“ ist fast nicht mehr zu hören. Jetzt müssen wir uns daran machen, die Berichte, die wir gehört haben, weiterzutragen. Mit Emotion und Wahrheitsliebe. Denn nur dadurch wird das, was heute als „Narrativ“ bezeichnet wird, glaubwürdig sein – und wirksam.
Wir werden unsere Freunde immer in unseren Herzen tragen und ihnen ein ehrendes Andenken bewahren.